6.2 Unvollständige Realisierung aller möglichen Hinsichten


Sowohl Wissenschaften als auch Nicht-Wissenschaften nutzen nicht die Gesamtheit der möglichen Hinsichten aus. Beispiel: Alltäglich verwendete zusammengesetzte Hinsichten beim Vergleich visueller Objekte sind v. a. die Hinsichten auf die Fläche (mit den einfachen Hinsichten auf Höhe und Breite) oder die Hinsicht auf die Raum-Zeit-Position (mit den einfachen Hinsichten auf Höhe, Breite, Tiefe und Zeit). Dagegen wird u. a. die mögliche zusammengesetzte Hinsicht H (mit den einfachen Hinsichten auf Höhe, Sättigung und Zeit) fast nie verwendet. Warum nicht?

Die Verteilung der Bewusstseinskapazität – und somit der Hinsicht – ist von sozialen und nicht-sozialen Bedingungen abhängig. Zu ersteren zählen u. a. der Habitualisierungsgrad des sozialen Handelns;[13] Art und Ausmaß der verfügbaren Ressourcen;[14] die Position innerhalb der Beziehungsstruktur;[15] sowie die formellen und informellen Regeln.[16] Zu letzteren zählen u. a. Extensitäts- und Intensitätssprünge (sog. „Pegelsprünge“, z. B. Donner, eine schnelle Bewegung) sowie Regelbrüche, z. B. eine Sonnenfinsternis.[17]

Folgende Annahmen scheinen plausibel: Bei nicht-wissenschaftlichen Vergleichen werden die Vergleichsobjekte in Hinsicht auf auffällige, leicht zugängliche Eigenschaften verglichen. Bei wissenschaftlichen Vergleichen können – wenn man von einer besseren Ausbildung und Ausstattung ausgeht – die Vergleichsobjekte zusätzlich auch in Hinsicht auf weniger auffällige, weniger leicht zugängliche Eigenschaften verglichen werden, z. B. zeitlich oder räumlich weit entfernte Objekte.

Da die Hinsicht auf Objekte gerichtet ist, und da der Objektbereich der Sozialwissenschaften sich von dem der anderen Wissenschaften unterscheidet, unterscheiden sich auch die von Sozialwissenschaftlern verwendeten Hinsichten von denen der übrigen Wissenschaftler: die Hinsichten sind auf das – in Kapitel 2 detailliert erläuterte – soziale Handeln und auf die Strukturen gerichtet.