Identität, Ähnlichkeit und Gegensatz

Zwei Vergleichskomplexe, z.B. zwei Melodien, können in mehreren Hinsichten miteinander verglichen werden. Durch diese Vergleiche werden insgesamt entweder ausschließlich Gleichheit oder ausschließlich Ungleichheit oder sowohl Gleichheit als auch Ungleichheit erkannt. Diese Differenzierung deckt sich – mehr oder weniger – mit der Unterscheidung zwischen Identität, Ähnlichkeit und Gegensatz.[1]

Identität. Zwischen beiden Komplexen werden nur Gleichheitsrelationen erkannt. In diesem Fall liegt qualitative Identität vor. Qualitative Identität meint Gleichheit mindestens zweier Vergleichsobjekte in einer oder mehreren Eigenschaften.[2] Man kann unterscheiden zwischen synchroner und diachroner Identität:[3] Erstere meint die Identität des gleichzeitig Gegebenen; letztere meint die Identität des nicht gleichzeitig Gegebenen.

Ähnlichkeit. Zwischen beiden Komplexen werden sowohl Gleichheits- als auch Ungleichheitsrelationen erkannt. In diesem Fall liegt Ähnlichkeit vor. Ähnlichkeit ist Meinong zufolge „in der Regel [eine] … partielle Übereinstimmung, d. h. als Gleichheit eines Teils der Elemente“[4]. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass man – analog zur synchronen und diachronen Identität – auch zwischen synchroner und diachroner Ähnlichkeit unterscheiden kann. Letztere liegt vor, wenn sich ein Vergleichsobjekt im Laufe der Zeit teilweise ändert, z. B. die Entwicklung eines Menschen oder soziale Prozesse einer Gesellschaft.

Gegensatz. Zwischen beiden Komplexen werden nur Ungleichheitsrelationen erkannt. In diesem Fall liegt ein Gegensatz vor. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass man auch zwischen synchronem und diachronem Gegensatz unterscheiden kann. Ersterer liegt bei zwei völlig verschiedenen Objekten vor, z. B. zwischen zwei verfeindeten Gruppen; letzterer liegt vor, wenn auf ein Vergleichsobjekt plötzlich ein völlig anderes Vergleichsobjekt folgt, z. B. bei einer Revolution.[5]

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In den Sozialwissenschaften haben v. a. die Wörter „(soziale) Ungleichheit“ und „Identität“ eine andere Bedeutung als in der Philosophie. „Soziale Ungleichheit“ bedeutet u. a., dass diese Ungleichheit dauerhaft und in Hinsicht auf wertvolle Güter besteht, z. B. materiellen Wohlstand, Macht, Prestige und Bildung.[6] Zudem differenziert man zwischen sozialer, persönlicher und Ich-Identität.[7] Es bestehen immer noch fachübergreifende Bedeutungsähnlichkeiten, z. B. zwischen diachroner Identität und Ich-Identität als „das subjektive Empfinden … seiner eigenen Kontinuität und Eigenart, das ein Individuum allmählich … erwirbt.“[8]

 


 

[1] Der Gebrauch der Begriffe >Gleichheit<, >Ungleichheit sowie >Identität<, >Ähnlichkeit< und >Gegensatz< ist in den Nicht-Wissenschaften und wohl auch in den Wissenschaften nicht eindeutig und präzise; vgl. Meinong, A., Relationstheorie, 1971, S. 78.

[2] Vgl. Aristoteles, Metaphysik, 1988, 1016b, „Numerische Identität“ meint Gleichheit eines Objektes (A = A) oder die gleiche Bedeutung zweier Zeichen (A = B; Beispiel: „Abendstern“ und „Morgenstern“ bezeichnen ein Objekt, nämlich die Venus; vgl. Frege, G., Sinn, 1986, S. 40-65.

[3] Vgl. Runggaldier, E./Kanzian, C., Ontologie, 1998, S. 96-100; 145-167.

[4] Meinong, A., Relationstheorie, 1971, S. 75. Vgl. dagegen de Vries, J., Identität, 1996, S. 177, der Ähnlichkeit als (vollständige oder teilweise) qualitative Übereinstimmung im Unterschied zu Gleichheit als quantitativer Übereinstimmung bestimmt.

[5] Einerseits handelt es sich bei Gegensatz (d. h. bei Ungleichheit in jeder der verwendeten Hinsichten) um einen Extremfall; andererseits kann man – wenn man sich abgrenzen möchte, z. B. als Wissenschaftler, als Sozialwissenschaftler, als Vertreter qualitativer oder quantitativer Forschung, etc. – gerade solche Hinsichten verwenden, durch die nur Ungleichheit erkannt wird.

[6] Vgl. Hradil, S., Ungleichheit, 2001, S. 27-30; Kreckel, R., Ungleichheit, 2004, S. 13-21.

[7] U. a. bei Mead, G. H., Identität, 1973, Erikson, E., Identität, 1973.

[8] Goffman, E. Stigma, 1975, S. 132.

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