Generalisierung und Differenzierung

Das Generalisierungs- und das Differenzierungsvermögen sind zwei Teilvermögen des Synthesevermögens. Was ist das Synthesevermögen? Es ist die Fähigkeit, Bewusstseinsinhalte miteinander durch Gleichheits- oder Ungleichheitsrelationen zu verknüpfen. Beispiel: Man nimmt nicht nur einzelne Farbpunkte, sondern Bilder; nicht nur einzelne Töne, sondern Melodien wahr. Dies ist möglich, weil mehrere Farbpunkte zu einem Bild und mehrere Töne zu einer Melodie verknüpft werden. Man kann bezüglich der Art der Relationen zwei Teilvermögen des Synthesevermögens unterscheiden:

Das Generalisationsvermögen ist das Vermögen, Gleichheit zu erkennen. Dieses Vermögen ist erforderlich für die Verwendung von Allgemeinbegriffen, z. B. sind alle Häuser in den Merkmalen gleich, die zum Vorstellungsinhalt des Begriffs >Haus< zählen.

Das Differenzierungsvermögen ist das Vermögen, „verschiedene Bestandteile … sowie Strukturen der Gegenstandswelt zu unterscheiden“[3]; d. h., es wird Ungleichheit erkannt.

Außerdem kann man unterscheiden zwischen der simultanen Synthese und der sequentiellen Synthese:

Das Vermögen der sequentiellen Synthese ermöglicht in einer Hinsicht die Erkenntnis der Gleichheit oder Ungleichheit nacheinander gegebener Bewusstseinsinhalte. Ohne dieses Vermögen könnte man z. B. keine Melodie hören.

Das Vermögen der simultanen Synthese ermöglicht in einer Hinsicht die Erkenntnis der Gleichheit oder Ungleichheit gleichzeitig gegebener Bewusstseinsinhalte.[1] Ohne dieses Vermögen könnte man z. B. kein Bild erkennen.

Ein Bewusstseinsinhalt kann sowohl durch simultane als auch durch sequentielle Synthese mit einem oder mehreren Bewusstseinsinhalten verknüpft werden.

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Wissenschaftliche Vergleiche erfordern ein spezifisches Generalisierungs- und Differenzierungsvermögen: Die Forderung nach möglichst hoher Objektivität und Reliabilität setzt voraus, dass das Vorliegen hoher Objektivität und Reliabilität erkennbar ist. Das Vorliegen ist erkennbar mithilfe des Generalisierungsvermögens, z. B. muss im Falle der Reliabilität erkannt werden, dass wiederholte Messungen die gleichen Werte liefern.

Die Forderung nach möglichst hoher Eindeutigkeit und Präzision bedeutet, dass das Differenzierungsvermögen möglichst gut entwickelt sein sollte.

Empirisch-wissenschaftliche Vergleiche erfordern ein spezifisches Synthesevermögen: Empirisch-wissenschaftliche Überprüfungen sollen objektiv sein.[4] Bezogen auf das Synthesevermögen bedeutet diese Forderung, dass das Synthesevermögen dem der anderen Wissenschaftler ähneln sollte, d. h. in den Fällen Gleichheit oder Ungleichheit erkennen sollte, in denen die als fähig geltenden Subjekte das Erkennen von Gleichheit oder Ungleichheit äußern.

Sozialwissenschaftliche Vergleiche unterscheiden sich von Vergleichen der übrigen Wissenschaften. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass das Synthesevermögen durch das Forschungsobjekt (F) und durch übrige Objekte (nicht-F) bedingt ist; beide Objektbereiche kann man jeweils in soziale (s) und nicht-soziale (nicht-s) Objekte einteilen. Erstens sind sozialwissenschaftliche Vergleiche durch alle vier Bedingungsbereiche beeinflusst (F/s, F/nicht-s, nichtF/s, nicht-F/nicht-s); Vergleiche der übrigen Wissenschaften jedoch nur durch drei: Fs fehlt.[5]

Zweitens wird das sozialwissenschaftliche Objekt (das erforschte Subjekt) durch soziale Bedingungen v. a. des Forschers beeinflusst, z. B. durch die (vermeintlichen) Erwartungen des Versuchsleiters.[6] Das Objekt der übrigen Wissenschaften wird durch soziale Bedingungen nicht beeinflusst.

 


[1] Vgl. dagegen Brunswig, A., Vergleichen, 1910: „Die Gleichzeitigkeit der sinnlichen Gegenwart zweier Inhalte wird dann durch den Vergleich in ein Nacheinander für die geistige Beachtung umgewandelt [!], so daß auch bei simultanen Objekten in Wahrheit der Vergleich immer ein Sukzessivvergleich ist.“ (Kursiv nicht im Original) Unklar ist, wie eine solche Umwandlung erfolgt.

[2] Diese werde ich in Abschnitt 5.1 erläutern.

[3] Schusser, G., Differenzierung, 1998, S. 184.

[4] Vgl. Abschnitt 2.1.4.

[5] Vgl. zum Einfluss der Versuchsperson (Vp) auf den Versuchsleiter (Vl): Orne, M., demand, 1962.

[6] Vgl. zum Einfluss des Vl auf die Vp: Rosenthal, R., Effects, 1966; zum Einfluss durch Erwartungseffekte vgl. Rosenthal, R./Fode, K. L., Psychology, 1963.